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Zum Thema Strafvollstreckung: „Halbstrafenantrag“, „Zwei-Drittel-Antrag“ und Erstverbüßervermutung

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Neben den „klassischen“ Strafrechtsmandaten, bei denen ich Mandanten als Beschuldigte in einem Strafverfahren vertrete, erreichen mich in meinem Arbeitsalltag auch immer wieder Anfragen aus dem Bereich der Strafvollstreckung. In den Fällen geht es in der Regel um inhaftierte Mandanten und die nach Teil-Verbüßung der Freiheitsstrafe entstehenden Optionen auf vorzeitige Entlassung aus der Haft.

Umgangssprachlich wird oft von einem „Halbstrafenantrag“ oder einem „Zwei-Drittel-Antrag“ gesprochen. Gemeint ist: Wer einen Teil seiner Freiheitsstrafe abgesessen hat, kann ggf. vorzeitig aus der Haft entlassen werden. Der Rest wird dann zur Bewährung ausgesetzt.

Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Entscheidung des OLG Naumburg aus dem letzten Jahr. Dort ging es um einen Inhaftierten der eine solche vorzeitige Haftentlassung beantragt hat, die Tat, wegen der er verurteilt wurde, jedoch leugnete.

Steht das Leugnen einer Tatbegehung einer vorzeitigen Haftentlassung entgegen?

Gemäß § 57 Abs. 1 StGB wird die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung ausgesetzt, wenn

  • 2/3 der Strafe verbüßt sind,
  • dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann
  • und die verurteilte Person einwilligt.

Bei der Entscheidung sind insbesondere die Persönlichkeit der verurteilten Person, ihr Vorleben, die Umstände der Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten der verurteilten Person im Vollzug, ihre Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für sie zu erwarten sind.

Der erste Strafsenat des OLG Naumburg befasste sich in dem Beschluss vom 18. Dezember 2024, Az. 1 Ws 496/24 (vorgehend LG Stendal, 18.10.2024, Az. 508 StVK 316/24) mit der Frage, wann eine vorzeitige Entlassung aus der Haft i.S.d. § 57 StGB verantwortet werden kann, wenn sowohl Umstände zugunsten des Verurteilten, als auch zu seinem Lasten vorliegen und dieser zusätzlich die begangene Tat leugnet.

Der Betroffene verbüßte eine dreieinhalbjährige Freiheitsstrafe wegen schwerer Vergewaltigung und besonders schweren Raubes zum Nachteil seiner früheren Ehefrau. Die Taten stritt er jedoch ab.

Die Strafvollstreckungskammer lehnte einen Antrag des Verurteilten auf vorzeitige Entlassung nach einer 2/3- Verbüßung ab, woraufhin er Beschwerde einlegte. Das OLG Naumburg verwarf die Beschwerde jedoch als unbegründet.

Am Maßstab des § 57 Abs. 1 StGB stellte das OLG zunächst zum Nachteil des Betroffenen auf die Art und Schwere der begangenen Straftaten ab. Zu seinen Gunsten spreche jedoch die sogenannte „Erstverbüßervermutung“, welche meint, dass bei erstmaliger Verbüßung einer Freiheitsstrafe und hierbei angemessenem Verhalten im Vollzug, im Regelfall von einer Entfaltung der spezialpräventiven Wirkung der Strafe ausgegangen werden kann und eine Entlassung verantwortbar sei.

Bei hohem Gewicht der beeinträchtigten Rechtsgüter, wie im vorliegenden Fall, erfahre diese Vermutung jedoch Einschränkungen und erfordere eine günstige Prognose, die die Bewältigung der zur Tat führenden Persönlichkeitsmängel aufzeigt. Es müsse im Strafvollzug eine Entwicklung von besonderem Gewicht stattgefunden haben.

Das Leugnen der Tat schließe nicht automatisch die Möglichkeit einer günstigen Prognose aus, so das OLG.

Eine Stellungnahme der Leiterin der Justizvollzugsanstalt, die im Rahmen der Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung des Strafrests verfasst wurde, sagte jedoch aus, dass die deliktsursächlichen Persönlichkeitsdefizite des Täters nicht behoben werden konnten und sich neben der Leugnung der Taten, als „ausgeprägte psychodynamische Abwehr“, auch „kognitive Verzerrungen, fehlende Verantwortungsübernahme, mangelnde Opferempathie, eine massive Externalisierung und ein defizitärer Umgang mit Kränkungssituationen feststellen ließen.

Das OLG folgte in diesem Fall einer etwas strengeren Auffassung, wonach auch bei einem „Erstverbüßer“ genau anzusehen ist, ob erfolgreich resozialisierende Maßnahmen durchgeführt wurden und dass Rückfallrisiko tatsächlich auf das in § 57 StGB erforderliche Maß gemindert ist. Es ist also in jedem Fall, trotz „Erstverbüßervermutung“, eine Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände erforderlich, bei der der Umstand der Erstverbüßung einer unter vielen ist.

Vivien Tzelepis, LL.M., Rechtsanwältin u. Fachanwältin für Strafrecht und Minari Cathrine Holloway, Studentin der Rechtswissenschaften

 

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